Arbeitsunfall im Homeoffice: aktuelle Rechtslage und wichtige Urteile
Seit sich Homeoffice und Remote-Work als fester Bestandteil der Arbeitswelt etabliert haben, stellen solche Fragen nicht mehr nur Jurist*innen, sondern Millionen Beschäftigte in Deutschland. Denn was früher klar war – der Weg ins Büro zählt, der Weg zur Kaffeemaschine nicht – verschwimmt heute in den eigenen vier Wänden.

Rechtliche Grundlagen & Begrifflichkeiten
Damit ein Unfall im Homeoffice als Arbeitsunfall anerkannt werden kann, muss er bestimmte gesetzliche Voraussetzungen erfüllen. Die zentrale Definition findet sich in § 8 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII), der genau beschreibt, wann eine „versicherte Tätigkeit“ vorliegt und wie sich der Versicherungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt.
Was bedeutet „versicherte Tätigkeit“?
Auch im Homeoffice sind grundsätzlich alle Handlungen versichert, die objektiv in einem sachlichen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen – also Tätigkeiten, die der Erfüllung der arbeitsvertraglichen Pflichten dienen. Dazu zählt beispielsweise das Schreiben von E-Mails, die Teilnahme an Videokonferenzen oder der Weg vom Schreibtisch zum Drucker, wenn dieser Arbeitszwecken dient. Nicht versichert sind dagegen Handlungen, die privater Natur sind – etwa der Weg zur Küche, um sich ein Getränk zu holen, oder das Beantworten privater Nachrichten während der Arbeitszeit. Entscheidend ist, wofür die Handlung objektiv ausgeführt wurde.
Auch im Homeoffice spielt der Wegeunfall eine Rolle, allerdings in abgewandelter Form. Während klassische Fälle den Weg zur Arbeitsstätte oder zurück nach Hause betreffen, spricht man im häuslichen Umfeld eher vom sogenannten Betriebsweg – also dem Weg innerhalb der Wohnung, der zur Aufnahme oder Fortführung der Arbeitstätigkeit dient.
Beispiel: Wer morgens vom Schlafzimmer direkt ins häusliche Arbeitszimmer geht, um seine Arbeit zu beginnen, befindet sich nach aktueller Rechtsprechung (BSG, Az. B 2 U 4/21 R) bereits auf einem versicherten Betriebsweg. Der Weg zur Kaffeemaschine hingegen bleibt in der Regel privat.
Die Bedeutung der „Handlungstendenz“
Ein zentrales Kriterium bei der Bewertung von Unfällen im Homeoffice ist die sogenannte Handlungstendenz. Sie beschreibt die subjektive Zielrichtung des Handelns: Wollte die betroffene Person in diesem Moment tatsächlich einer beruflichen Tätigkeit nachgehen – oder war das Handeln privat motiviert?
Die Gerichte prüfen dabei sowohl:
- die subjektive Komponente (was war beabsichtigt?) als auch
- die objektive Komponente (lässt sich diese Absicht durch äußere Umstände belegen?).
Im Fall eines Sturzes auf der Treppe kann z. B. entscheidend sein, ob sich die Person auf dem Weg ins Arbeitszimmer befand (versichert) oder nur eine private Unterbrechung machte (nicht versichert). Diese Handlungstendenz muss im Zweifel nachgewiesen werden, etwa durch Zeugenaussagen, technische Nachweise oder zeitliche Zusammenhänge mit der Arbeitstätigkeit.
Gesetzliche Änderungen seit 2021: Gleichstellung von Homeoffice und Betriebsstätte
Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz (2021) wurde der Versicherungsschutz im Homeoffice erstmals gesetzlich an den Schutz in der Betriebsstätte angeglichen. Seitdem gilt:
Wer im Haushalt oder an einem anderen Ort tätig wird, ist im gleichen Umfang gesetzlich unfallversichert, wie wenn die Tätigkeit im Betrieb ausgeübt würde.
Damit sind Beschäftigte im Homeoffice grundsätzlich abgesichert, wenn sie betriebsbezogene Tätigkeiten ausführen – auch wenn sie sich dabei innerhalb ihrer eigenen Wohnung bewegen.
Darüber hinaus wurde 2022/2023 die Auslegung zu Wegen im Haushalt erweitert. So können etwa Unfälle auf dem Weg zur Toilette oder in die Küche unter bestimmten Bedingungen als Arbeitsunfälle gelten, wenn die Handlung unmittelbar mit der betrieblichen Tätigkeit zusammenhängt oder als „betriebliche Notwendigkeit“ interpretiert werden kann.
Mit dem Telearbeitsgesetz 2025 werden diese Grundsätze nochmals präzisiert:
Es unterscheidet künftig zwischen Telearbeit im engeren Sinne (fester Arbeitsplatz zu Hause mit klarer Vereinbarung) und mobiler Arbeit (ortsunabhängig, flexibel).
Für beide Formen soll der Versicherungsschutz einheitlich und vollständig gelten – ein weiterer Schritt hin zur rechtlichen Gleichstellung von Homeoffice und Büroarbeitsplatz.
Wichtige Urteile: Analyse & Konsequenzen
Die rechtliche Bewertung von arbeitsbezogenen Unfällen im Homeoffice hat sich in den vergangenen Jahren maßgeblich durch mehrere Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) und verschiedener Landessozialgerichte (LSG) verändert. Diese Entscheidungen bilden heute die Grundlage dafür, wie Versicherungsträger und Gerichte beurteilen, ob ein Unfall im häuslichen Umfeld als versicherte Tätigkeit gilt oder nicht.
Wegweisendes Urteil des Bundessozialgerichts (B 2 U 4/21 R)
Ein Wendepunkt in der Rechtsprechung war das Urteil des BSG vom 8. Dezember 2021 (Az.: B 2 U 4/21 R). Im konkreten Fall stürzte ein Arbeitnehmer auf dem Weg von seinem Schlafzimmer in das eine Etage tiefer gelegene häusliche Arbeitszimmer und verletzte sich schwer. Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall zunächst ab, da der Unfall „in den privaten Räumlichkeiten“ geschehen sei.
Das Bundessozialgericht urteilte jedoch anders:
"Der erstmalige Weg zur Arbeitsaufnahme im Homeoffice steht dem Weg vom Bett zur Betriebsstätte gleich und ist daher als versicherter Betriebsweg anzusehen."
Diese Entscheidung stellte klar: Auch innerhalb der eigenen Wohnung kann der Weg zur Arbeitsaufnahme als versicherter Weg gelten – sofern er objektiv der Arbeitsaufnahme dient.
Konsequenzen: Die Unterscheidung zwischen „privat“ und „dienstlich“ wird flexibler, hängt aber noch stärker von der Handlungstendenz ab. Der Versicherungsschutz beginnt nicht erst mit dem Einschalten des Computers, sondern schon beim physischen Aufbruch zur Arbeit – auch innerhalb des Hauses oder der Wohnung. Arbeitgeber müssen ihre Homeoffice-Regelungen und Gefährdungsbeurteilungen anpassen, um mögliche Streitfälle zu vermeiden.